In einem tiefen Scharlachrot senkte sich die Sonne hinter den Hügeln herab und ergab sich erschöpft der hereinbrechenden Nacht. Der Vollmond drängte sie förmlich zum Untergang, um endlich der alleinige Herrscher des Himmelszeltes zu sein. Seine Untertanen, die Sterne, leuchteten heute besonders hell. Doch an die Macht des Mondes wagten sie sich nicht heran.
Unter dem düsteren Blau lag Bruna im weichen Gras und genoss
die Kälte der Finsternis und deren Verheißung von Sicherheit. Neben ihr bahnte
sich ein kleiner Bach seinen Weg durch die Wiesen, grub winzige Schluchten in
die schier endlose Landschaft. Bruna seufzte. Es war Zeit für die Jagd.
Widerstrebend rappelte sie sich auf und schlenderte in Richtung des Dorfes, das
in Sichtweite lag. Vor ein paar Tagen war sie auf ihrer Reise hergekommen,
hatte sich in Höhlen vor den tödlichen Strahlen der Sonne verschanzt und
versucht, so wenig Aufmerksamkeit wie nur möglich auf sich zu lenken. In diesem
nahezu unbewohnten Gebiet fiel dies besonders schwer. Als allein reisende Frau
zog man die Blicke der Menschen an wie ein Magnet. Zudem blieben die seltsamen
Todesfälle, die Bruna’s Besuche begleiteten, nicht lange unbeachtet. Doch es
war unvermeidbar. Selbst als Nomadin musste sie diese Risiken auf sich nehmen
um zu überleben, dann und wann an einem Ort verweilen, um den unerträglichen
Durst ein wenig länger zu stillen.
Das Dorf war etwas größer als die letzten. Es beherbergte um
die zweihundert Menschen. Ein leerer Marktplatz zeugte von dem Trubel, der am
Tage stattfand. Schilder an Bäckereien versprachen frisches Brot an jedem
Morgen. Der Duft von Schweineblut lag in der Luft, Bruna roch es deutlich
obwohl die Metzgerei drei Straßen weiter erst in einigen Stunden wieder öffnen
würde. Nun, nach Anbruch der Nacht, gingen Männer in Kneipen ein und aus,
Frauen boten am Straßenrand ihre Körper zum Verkauf.
Aus den Wohnhäusern waren die Stimmen von Müttern zu hören,
die die Kinder zu Bett schickten. Sie erzählten Geschichten von Monstern unter
Betten, Monstern wie Bruna, die von den tapferen Männern tagein tagaus
vernichtet wurden.
Bruna zog weiter ihre Kreise, verschmolz mit der Schwärze
der Gassen, nahezu unsichtbar für menschliche Augen.
Vor einer gut besuchten Bar machte sie Halt. Das Gelächter
der Betrunkenen dröhnte in ihren überempfindlichen Ohren. Sie vermochte es kaum
auszublenden. Der Gestank von verunreinigtem Blut stieg ihr in die Nase.
Alkohol konnte ihr nichts anhaben, doch das machte das Gebräu in den Adern der
Trunkenbolde nicht appetitlicher.
Bruna schüttelte sich vor Abneigung. Beinahe wäre sie
umgekehrt, nur der Hunger war groß genug, dieses widerliche Hindernis zu
überwinden. Ihre Reißzähne pochten erwartungsvoll. Was machte schon eine
Schnapsleiche aus, wenn sie dadurch einen weiteren Tag in Unsterblichkeit leben
konnte ohne im Blutdurst Amok zu laufen?
Selbstsicher straffte sie die Schultern und schritt durch
die Tür. Die überwiegend männlichen Gäste schrien umher, leicht bekleidete
Tänzerinnen boten eine grandiose Show, die Kellner schienen maßlos überfordert.
Bruna suchte den Raum nach einem passenden Opfer ab. Sie fand ihre Beute
schnell, viele Jahre der Erfahrung zeichneten sie aus. Eilig öffnete sie an
ihrer Bluse die oberen Knöpfe, lockerte ihr Haar und ging hüftschwingend auf
einen Mann nahe der Bühne zu. Er saß in einem Winkel, in den wenig Licht drang.
Eine perfekte Kulisse für ihre eigene Show. Bruna musterte ihre Mahlzeit, ein
kahlköpfiger Kerl, jedoch von Feldarbeit gestählter Körper, lüsterner Blick,
scharfe Gesichtszüge. Immerhin ein mehr oder minder ansehnlicher Snack.
Galant zog Bruna den Stuhl ihm gegenüber beiseite. Als sie
sich setzte, präsentierte sie dem Mann ihr üppiges Dekolleté. Mit einem
Zwinkern bekundete sie ihr Interesse an ihm.
„Hey, Süße“, lallte er. „Schon was vor heute Nacht?“
Bruna lächelte schüchtern und wickelte eine Haarsträhne
mädchenhaft um ihren Zeigefinger. Ihr jugendliches Aussehen verschaffte gewisse
Vorteile bei der Jagd, die sie nicht verleugnen konnte.
„Natürlich habe ich etwas vor. Ich werde heute Nacht einen
wilden Hengst zähmen. Kennst du einen guten Ort dafür?“ In seinem Blick brannte
die Erregung. Sie hatte ihn am Haken. Männer waren so leichte Beute.
Ohne weitere Worte stand er auf und bot ihr seinen Arm. Er
wankte unter dem Einfluss des Gesöffs. Einigermaßen Gentlemen-Like führte er
sie aus dem Lokal hinaus auf die Straße. Sie kamen in einer einsamen Gasse zum
Stehen. Der Mann zögerte nicht lange, presste sie an eine Hauswand und küsste
sie stürmisch. Feucht und unbeholfen rieben seine Lippen über ihre. Er schien
sie verschlingen zu wollen. Völlig von Sinnen versuchte er, Brunas Bluse zu
aufzureißen und sich gleichzeitig seiner Hose zu entledigen. Genervt von diesem
elenden Schauspiel packte Bruna ihn unterm Kinn. Dem Mann stockte der Atem, als
sie ihn mit einem Arm locker in der Luft hielt.
„Tut mir Leid, Schätzchen. Das war‘s für heute“, säuselte
sie und warf ihn zu Boden. Ängstlich robbte er von ihr fort, suchte einen
Fluchtweg. Doch es gab keinen. Es gab nie einen. Nicht für ihn. Nicht für
Bruna. Nun stand die Furcht deutlich in seinen Augen. Er hatte den Tod erkannt.
Da sie im Gegensatz zu anderen Bluttrinkern nur ungern mit
dem Essen spielte, setzte die Unsterbliche dem Drama hastig ein Ende. Sie
packte ihn am Kragen, bleckte ihre Zähne und biss zu, wo seine Halsschlagader
so verlockend pulsierte. Heißes, süßes Blut rann ihre Kehle hinab, stillte den
unbändigen Hunger in ihr. Dann fiel das Opfer reglos zu ihren Füßen. Tot. Ein
ungläubiges Starren stand in seinen Pupillen. Der stumme Schrei nach Hilfe, den
keine Seele hier draußen hörte. Stille.
Bruna wandte sich ab und verließ langsamen Schrittes das
Dorf. Weiter ziehen hieß es nun. Im nächsten Ort würde sie länger verweilen
können ohne aufzufallen. Außerdem wären die Mahlzeiten dort bekömmlicher. Und
doch würde sie in einer so großen Menge von Menschen einsam sein. Verlassen vom
Leben und dem Wohlwollen des Schicksals. Auf der Suche nach einem Gefährten,
der ihren Fluch teilte und ihr die Unendlichkeit nur ein bisschen erleichtern
würde.
Mit der linken Hand wusch sie einen Tropfen Blut von ihrer
Lippe. Es war dasselbe Scharlachrot wie das des Sonnenuntergangs.
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Meine Leseleidenschaft hat damals mit Vampirromanen begonnen. Heute lese ich alles, doch Vampire werden mich immer faszinieren ;).